Nachdem Sie kürzlich auf die Bürgerstiftung angesprochen wurden, haben Sie ohne Zögern
entschieden, Stifterin zu werden. Was überzeugt Sie, Teil der Bürgerstiftung zu werden?
Ich muss zugeben, dass ich die Bürgerstiftung vorher gar nicht kannte und ich frage mich eigentlich warum. Das ist so eine gute Einrichtung, dass noch viel mehr Menschen im Werra-Meißner-Kreis davon wissen sollten. Es werden viele ehrenamtliche Projekte gefördert und das ziemlich unkompliziert. Zudem verfolgt die Bürgerstiftung Werra-Meißner gesellschaftliche Themen mit eigenen Projekten wie z.B. die Begegnung der Generationen oder die Förderung junger Menschen mit ihren Ideen für eine Zukunft. Außerdem fließt meine Zustiftung in den Vermögensstock der Bürgerstiftung, der auf Dauer erhalten bleibt und lange wirkt.
Wir leben seit 2020 mit einer Pandemie und ein Krieg in Europa verändert von einem Tag auf den anderen unser gesamtes Leben. Was macht das mit dem Ehrenamt?
Die einen waren total aktiv in der Pandemie, die anderen müssen jetzt wieder einen Anfang finden. In der Krise (erst Pandemie, jetzt Ukraine) merkt man erstmal, was wir hier im WMK alles an Ehrenamt haben … Das Ehrenamt hat aber auch – nicht erst unter Corona – an Wertschätzung verloren. Es fehlt nicht nur Wertschätzung von „oben“, sondern auch untereinander … Ich frage mich „Wie kommt das?“
Viele Ehrenamtliche sind beruflich stark eingebunden und sind beispielsweise von (zunehmenden) bürokratischen Strukturen bei der Antragstellung überfordert. Die Arbeit bleibt nicht selten an wenigen Mitgliedern hängen und das Hineinwachsen junger Nachwuchskräfte wird erheblich erschwert.
Das Ehrenamt ist in Krisen irgendwie immer zur Stelle. Wird das Ehrenamt oftmals zum Hauptamt?
Die Überforderung des Ehrenamtes muss vermieden werden. Die Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit von Seiten des Kreises scheint zunehmend wichtig zu sein. Das Bündeln von Informationen für Vereine, das ist so ein Wunsch, den ich umsetzen möchte, so etwas wie eine „Servicestelle Ehrenamt“, die die Arbeit der Vereine und Initiativen unterstützt und erleichtert. Es geht insbesondere um Entlastung. Bei dieser Aufgabe können sich Verwaltung und Ehrenamt durch ihre jeweilige Expertise ergänzen, denn soziales und kulturelles Engagement sind große gemeinsame Themen! Außerdem kann damit ein gutes Signal für das Ehrenamt „Guckt mal, wir sind auch als Kreis für euch da. Nutzt uns!“ gegeben werden. Das stärkt den WMK!
Strukturen (digital und analog) schaffen …Vernetzen … Expertise nutzen … reicht das alleine schon für ein erfolgreiches Arbeiten im Bereich des Ehrenamtes?
Der demographische Wandel kommt in den Vereinen – insbesondere auf den Dörfern – an. Nachwuchs im Ehrenamt ist kein Selbstläufer. Eine Idee könnte sein, dass sich auf Kreisebene in regelmäßigen Abständen Vereine und Initiativen treffen und sich über das, was im sozialen und kulturellen Bereich auf Basis des Ehrenamtes ansteht, austauschen. Das sollte selbstverständlich als ein Angebot angelegt sein. Nicht immer muss das Rad neu erfunden werden, wir könnten voneinander lernen und der Austausch wirkt entlastend. Analoge und digitale Formate können genutzt werden. In der Zeit der Pandemie hat die Kommunikation auf diese Weise auch gut geklappt.
Junge Menschen würden sich vielleicht gerne einbringen, aber es fehlt ihnen möglicherweise die notwendige Zeit. Wir haben heutzutage nicht unbedingt mehr Arbeit, aber wir haben andere Arbeit, die ständige Erreichbarkeit und z.B. das einseitige Arbeiten am PC beanspruchen in besonderer Art und Weise. Die junge Generation nimmt die work-life-balance in den Blick … und oftmals möchte man auch nicht in die Fußstapfen eines Vereinsvorsitzenden treten, der das 30 Jahre gemacht hat. Apropos Nachwuchs im Ehrenamt: Es gibt viele gute Ansätze, z.B. bei den Feuerwehren läuft das gut, es gibt qualifizierende Lehrgänge, die aber oftmals so zeitintensiv sind, dass sie fast Vollzeitcharakter annehmen und teilweise für den Einzelnen bzw. die Einzelne nur schwer zu organisieren sind. Von daher müssen wir manche Strukturen überdenken und auch andere, neue Ansätze im Ehrenamt tolerieren.
Oder noch einmal anders gefragt, wie belebt man das Ehrenamt und wie schafft man es, junge Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen und es für sie attraktiv zu gestalten?
Vielleicht sollten wir Netzwerke nur für junge Ehrenamtliche schaffen? So etwas gibt es in der Politik … es könnte ja auch tatsächlich so sein, dass junge Menschen eher unter sich aktiv werden und sich dann aber auch in etablierten Strukturen besser / sicherer bewegen und in einem Verein / einer Initiative gerne mitarbeiten und sich einbringen … Die Verbindung zwischen Schule und sozialen, kulturellen und gemeinnützigen Vereinen bzw. Institutionen ist dabei besonders wichtig. Wir alle müssen sie stärken und fördern, jungen Menschen sollte die Möglichkeit eines Engagements schon während der Schulzeit gegeben werden. Man kann es vielleicht „Lernen durch Engagement“ nennen und so einen Ansatz gibt es glücklicherweise seit längerer Zeit hier bei uns im WMK, wo sich junge Menschen im Projekt „freiwilliges soziales Jahr“ (FSJ) kontinuierlich in einem Verein oder einer sozialen Einrichtung einbringen und erproben können.
Uns interessiert auch, ob Sie in Ihrem vorherigen Arbeitsfeld Berührungspunkte mit ehrenamtlicher Tätigkeit hatten. Vielleicht können Sie im Rückblick auf Ihre Arbeit in der Arbeitsagentur dazu etwas sagen?
Arbeitgeber schauen schon auf soziale Kompetenzen von Bewerberinnen und Bewerbern. Die Frage nach den sozialen Kompetenzen wird durchaus gestellt. Bei der Beratung für Abiturienten habe ich festgestellt, dass Arbeitgeber im Bereich der Ausbildung (Ausbildungsbetriebe) schon genau gucken, was ein Bewerber / eine Bewerberin außerhalb von Schule noch so gemacht hat. Es kommt dabei aber auch auf die Berufsgruppe an. Oft ist eine Note weniger aussagekräftig als ein ehrenamtliches Engagement bzw. eine Mitgliedschaft im Verein usw. Ehrenamtliche Arbeit sollte ihren Niederschlag im Lebenslauf finden.
Bei der Vermittlung in Arbeit habe ich erlebt, dass ältere akademische Bewerberinnen und Bewerber oftmals ehrenamtlich tätig sind. Jüngere akademische Bewerberinnen und Bewerber haben zwar oft Verbindung zu ehrenamtlicher Arbeit – teilweise durch die Eltern und die Familie –, allerdings scheint es für sie durchaus Hürden zu geben, die eine ehrenamtliche Arbeit verhindern. Nach dem Motto „Bevor ich eine Sache nur halb mache, lasse ich es lieber.“ Möglicherweise hat das mit dem Blick auf die Work-Life-Balance zu tun?
Wir müssen uns zukünftig auf eine vielfältigere Gesellschaft einstellen, Zuwanderung und z.B. Kulturvarianten fordern uns heraus. Was bedeutet das für das Ehrenamt?
Hier nimmt das Ehrenamt eine ganz wichtige Rolle ein, denn es hilft bei der Integration und leistet unmittelbare Hilfestellungen an Ort und Stelle. Dazu braucht es selbst unbedingt eine verlässliche Unterstützung von institutioneller Seite! Hier kommen dann u.a. auch die sozialen Netzwerke in den Blick, denn viele Informationen, Initiativen und Aktivitäten werden inzwischen weitgehend über Social Media vernetzt.
Aus dem Gespräch mit Ihnen nehmen wir gerne einige interessante Anregungen wie z.B. „Die Bürgerstiftung in den Blick junger Menschen zu rücken …“.
Herzlichen Dank, Frau Rathgeber!